Vor zwölf Jahren entfachte der Mord an Hatun Sürücü eine Debatte um sogenannte Ehrenmorde in Deutschland. Es ist die Spitze des Eisbergs. So viele Frauen starben durch die Hand eines Mannes.

Die meisten Ehrenmorde werden niemals bekannt, weil sie als Unfall oder Selbstmord getarnt werden. Manchmal wird eine Frau als vermisst gemeldet.

Mädchen und Frauen werden von ihren Familienangehörigen, den Brüdern, dem Vater oder dem Partner auf grausame Weise erstochen, mit Säure übergossen, überfahren oder auf eine andere Art ermordet, weil sie durch ihr Verhalten angeblich die Ehre des Mannes und somit auch die der Familie nicht nur verletzt, sondern auch beschmutzt haben.

Diese Familien geben zur Rechtfertigung der von ihnen, vor allem an Mädchen und jungen Frauen, verübten Gewaltverbrechen vor Gericht an, dass  das Opfer die Familienehre beschmutzt habe.

In den patriarchalisch strukturierten Gesellschaften hat die weibliche Familienangehörige die Verpflichtung gegenüber ihrer Gemeinschaft und der Familie die Ehre zu bewahren indem sie ihr gegenüber Reinheit, Achtung und Respekt erweist. Verstößt sie gegen den Kodex der Familie, kann dieser Verstoß nur durch eine Bestrafung, wie beispielsweise der Tötung, ausgeglichen werden und somit die Ehre wiederhergestellt werden.

Ehrenmorde werden auf unterschiedliche Art und Weise begangen, wobei die Tötungsart regional variieren  kann. Die Frau oder das Mädchen kann zum Beispiel durch Erschießen, Erwürgen oder Erstechen zu Tode kommen. Eine andere Form der Ermordung ist die Steinigung. Diese wird in Teilen Ostanatoliens und im Süden der Türkei von Seiten der Familie begangen, um (angeblichen) Ehebruch oder andere Delikte zu bestrafen. Eine weitere Form der Gewalt im Namen der Ehre sind Säureattentate, die insbesondere in Bangladesch und Pakistan verübt werden. Säureattentate werden nicht nur von männlichen Familienmitgliedern zur Wiederherstellung der Familienehre begangen, sondern auch von abgewiesenen Verehrern der Frau, die sich in ihrer Ehre gekränkt fühlen und sich an den Frauen rächen wollen, indem sie ihnen ätzende Säure über Kopf und Körper gießen.

Mitgiftmorde, die vor allem in Indien an Frauen begangen werden, weil ihre Mitgift angeblich zu niedrig ist, können auch zu Verbrechen im Namen der Ehre gezählt werden.

Ehrenmorde sind bekannt aus den Kurdengebieten der östlichen und südlichen Türkei. Auch in den Ländern Jordanien, Syrien, Pakistan, Indien, Bangladesch, dem Iran, Irak, Israel/Palästina, Jenem, Libanon, Äthiopien, aus dem Kosovo, Albanien, sowie aus einigen anderen Ländern, die nicht zum Mittelmeerraum gehören. Dazu zählen Mexiko, Ecuador, Brasilien, Ostafrika, Malaysia, Papua-Neuguinea, Kambodscha, sowie westliche Länder mit Migrantenkulturen, wie z. B. der Schweiz und Italien. Außerdem der Region des Maghreb und den Jemen, für den für 1997 sogar 400 Ehrenmorde aufgrund von Berichten der arabischen Presse angenommen werden. Nur in wenigen anderen Ländern sind bisher punktuell Statistiken erhoben worden. So geht Amnesty International für Pakistan von etlichen hundert Ehrenmorden im Jahr 2004 aus, aber auch Zahlen von jährlich 1500 Morden werden für Pakistan genannt. Überall aber besteht die Schwierigkeit einer hohen Dunkelziffer aufgrund nicht angezeigter Todesfälle oder der als Selbstmord und Unfall getarnten Ehrenmorde.