Köln-Nippes. In Anwesenheit des Ersten Stellvertretenden Bürgermeisters Andreas Wolter (Grüne) sowie von Bezirksbürgermeisterin Diana Siebert (Grüne), Marie-Luise Hümpfner vom Landesministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, Schauspieler Jesse Albert, der durch den Abend führte, sowie rund 100 Gästen zertifizierte der Verein HennaMond e.V. am Mittwochabend im Bürgerzentrum Nippes neune junge Erwachsene zum Abschluss ihrer wegen der Pandemie zweijährigen Ausbildung zu Champs.

HennaMond ist eine seit 35 Jahren arbeitende Einrichtung, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, insbesondere junge Muslima vor Zwangsverheiratung und „Ehrenmord“ zu schützen. Es gab Jahre, da die Gründerin und Geschäftsführerin Sonja Fatma Bläser mehr als 400 Fälle zu betreuen hatte; im Durchschnitt sind es rund 300; durch die Lockdowns stieg die Zahl in den vergangenen Monaten wieder an.

Um das nach wie vor leider sehr verbreitete Phänomen Zwangsverheiratung an der Basis anzugehen, startete HennaMond vor einigen Jahren eine qualifizierte Ausbildung für junge Erwachsene unter der Regie des interkulturellen Mentors Jaouad Hanin; seit vier Jahren firmiert diese unter „Champs“.

Champs gehen in Schulen und berichten den Gleichaltrigen in Augenhöhe von den Vorzügen eines selbstbestimmten und gleichberechtigten Lebens in Freiheit und Demokratie, auf dass die Schüler*innen in ihren soziokulturellen Umfeldern und Religionskreisen einen Änderungsprozess in Gang setzen und unterstützen.

Dass Sonja F. Bläser 2020 an einer Schule in Leverkusen ihre langjährigen und einschlägigen Erfahrungen berichtete, führte dazu, dass sich erstmals mehr Mädchen – vorwiegen aus Syrien – als Jungen für die neue Champs-Qualifizierung anmeldeten. Es waren und sind dies Yazan Kamal Aldin, Fatema “Foofu” Ali, Nermin Amin, Avin Hesso, Alan Hussein, Meryem Joumaa, Fatima Rachid sowie Somi Rachid.

„Wir sind auf all diese neuen Champs sehr stolz“, sagte Bläser bei der Begrüßung mit Bezug auf die organisatorischen Erschwernisse durch die Covid-19-Pandemie. Sie ist sicher, dass die neun jungen Menschen einen Weg gefunden haben, sich gegen extremistische und althergebrachte religiöse Vorstellungen durchzusetzen, und dankte ihnen für eine hervorragende Zusammenarbeit.

Andreas Wolter griff das vor den Augen stolzer Familien, so die mit in Deutschland sein können und nicht zurückbleiben mussten, auf: Champs seien während ihrer Ausbildung wie selbstverständlich mit demokratischen Grundwerten sowie mit Gleichberechtigung sowie religiöser Freiheit aufgewachsen. Wenn sich junge Menschen mit sehr privaten Fragen der Identität und Persönlichkeit auseinandersetzen, dann „verlassen sie damit bewusst die Komfortzone“.

Die Champs-Arbeit in den Schulen sei ungemein wertvoll, dankte der Bürgermeister im Namen der Stadt Köln, und eine „große Hilfe für Schüler*innen im Spiegel unterschiedlicher Kulturen“. Es verdiene große Anerkennung, dass Champs bereit seien, sich diesen Konflikten zu stellen. Wolter glaubt freilich auch, dass sie ihr ganzes Leben davon profitieren. Und ist sich sicher, dass Champs als Gleichaltrige die Schüler besser erreichen als Erwachsene.

Er nannte die Champs-Arbeit „eine große Hilfe für die Stadt Köln“, die sich ihrerseits auf anderen Ebenen gegen Antidiskriminierung und für die Gleichstellung der Frauen einsetze. Der Bürgermeister wies darauf hin, dass der finanzielle Ansatz für Menschenrechts-Fragen im städtischen Haushalt 2022 aufgestockt und dass es eine Planstelle für Menschenrechte geben werde.

Regierungsbeschäftigte Marie-Luise Hümpfner verwies darauf, dass das Ministerium HennaMond seit 2018 fördere – berechtigterweise, hätten Champs doch inzwischen mehr als 3000 Schüler*innen erreicht. Sie lobte ihren respektvollen Umgang mit anderen, gegen Rassismus, für Selbstbewusstsein und Demokratie: „Ihr seid authentische Gesprächspartner auf Augenhöhe geworden.

Sie fand es zudem sehr bemerkenswert, wie rasch HennaMond umgeswitcht und auf online-Schulungen umgestellt habe. Hümpfner („Da ist mir nicht bange um die Zukunft in Köln und Deutschland“) wertete die Zertifizierung als Anerkennung und „Chance, in Eurem Umfeld etwas ändern zu können“.

Ehe Jaouad und Brahin Hanin auf deutsch und arabisch nachdenkliche Lieder sangen und spielten, gaben sechs Zertifizierte in einer pantomimischen Darstellung Einblicke in ihre Biografien. Einer sagte, dass er seit einem Schulpraktikum bei HennaMond sei und hier gelernt habe, „auch mal Nein zu sagen“; inzwischen kämpfe er für Erfolg und ein besseres Leben.

Eine andere berichtete, mit einem Wasserkopf zur Welt gekommen zu sein; die Eltern haben alles Erdenkliche unternommen, damit sie erfolgreich operiert werden konnte. Bei Champs habe sie Geduld gelernt, dass man ohne Angst eine eigene Meinung sagen könne, und dass es Graustufen gebe zwischen Richtig und Falsch.

Eine wieder andere erinnerte sich, dass die Nachbarin Flüchtlinge regelrecht hasse. Champs halfen ihr, Anschluss zu finden, von- und miteinander zu lernen. „Jeder wird akzeptiert.“ Sie wünsche sich, dass in unserer Gesellschaft alle einen netten Umgang miteinander pflegen: „Dann wäre die Welt viel schöner.“

Mehrere berichteten von der Flucht vor dem Militär, von durch Bomben vernichteten Schulen. Eine junge Frau: Als Champ weiß ich, wie wichtig Demokratie und Freiheit sind. Wir Champs „stehen für Demokratie und Gerechtigkeit“. Eine junge Frau sagte, Champs kennengelernt zu haben, sei eines der besten Dinge gewesen, „die mir in meinem Leben passiert sind“. Ihr Wunsch: Weniger Rassismus in Deutschland.

Die Champs seien für sie „meine zweite Familie“, sagte zum Abschluss eine Frau, die nach etlichen Hürden heute vor dem Abitur steht: Danke Deutschland, Danke Champs.

Thomas Wintgen